Texte

Verlage in zunehmenden Konfliktfeldern

Juristische Erfahrungen eines Sachbuchverlegers
(Beitrag für das Jahrbuch der Günter und Ute Grass Stiftung „Freipass“, Band 5, Berlin 2020)

Bei literarischen Werken werden Konflikte zumeist auf der künstlerischen oder persönlichen Ebene ausgetragen. Entweder geht es um die Art der Darstellung oder die Haltung des Autors. Das kann arg verletzend sein, wenn etwa ein Buch völlig verrissen bzw. auf einer Spiegel-Titelseite gar zerrissen wird, oder einer Autorin politische Nähe zur Diktatur bzw. Denunziantentum unterstellt wird. In eher seltenen Fällen entzünden sich Konflikte an einzelnen Figuren, die zu dicht an realen Personen angelegt, also zu wenig literarisch verfremdet sind, und sich die wiedererkennbare Person dadurch in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlen.
Bei Sachbüchern ist das Spektrum der möglichen Auseinandersetzungen weit größer und für die Betroffenen oft auch wirtschaftlich schmerzvoller, da es per Einstweiliger Verfügung schnell zum Verbot ganzer Auflagen und anschließend zu hohen Schadensersatzforderungen kommt. Dabei geht es zumeist um den Wahrheitsgehalt von Tatsachenbehauptungen, die Berichterstattungsfreiheit über Personen und die Grenzen von Meinungsfreiheit.1
Im ersten Bereich sieht das Recht vor, dass sich jeder gegen eine Darstellung zu seiner Person wehren kann, wenn diese nicht den Tatsachen entspricht. Es genügt der einfache Hinweis, dass die Behauptung nicht stimmt, Autoren und Verlag haben sodann binnen weniger Tage zu beweisen, dass ihre Darstellung die richtige ist, wozu Dokumenten- oder Zeugenbeweise beizubringen sind. Die Juristen nennen das Beweislastumkehr, denn im Strafrecht gilt ja ansonsten die Unschuldsvermutung, bis dem Täter etwas nachgewiesen werden kann.
Im zweiten Bereich wird vielfach darüber gestritten, wer eine Berichterstattung über sich hinzunehmen hat und wer das Recht auf Privatheit für sich geltend machen kann. Hier geht es darum, ob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wonach jeder darüber befinden kann, ob er mit Namen und Bild in einer Publikation auftauchen will, oder das öffentliche Informationsinteresse zur jeweiligen Person Vorrang hat. Personen der Zeitgeschichte müssen üblicherweise eine Berichterstattung über sich akzeptieren. In jedem Fall gibt es für alle einen Schutz vor Indiskretion, also der Privat- und Intimsphäre.
Drittens schließlich wird oft über die Frage gestritten, wie weit die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit reicht. Offiziell gibt es einen Schutz vor ehrverletzender Schmähkritik, womit Diffamierungen ohne sachlichen Grund gemeint sind. Doch im Zeitalter unkontrollierter anonymer Äußerungen im Internet, die lange Zeit kaum verfolgt wurden, sind hier die Grenzen aufgeweicht worden, sodass eine Unterscheidung, was berechtigte Kritik und was üble Nachrede ist, von vielen nicht mehr richtig vorgenommen werden kann.2

Unser Verlag durfte in 30 Jahren in allen drei Bereichen seine Erfahrungen machen, wobei es mitunter auch Bezüge zu Günter Grass gab. Während es bei den Kontroversen um „Ein weites Feld“ 1995 vor allem um Grass‘ literarische Figuren Fonty und Hoftaller ging und die geschilderten Handlungen der Treuhandanstalt eher eine geringe Rolle spielten, mussten wir bereits zwei Jahre zuvor erleben, wie Aufgeladen die Auseinandersetzungen um die Privatisierung des DDR-Volksvermögens ist. Unser Report „Treuhand-Poker – Die Mechanismen des Ausverkaufs“ von Martin Flug rief einen ehemaligen Manager auf den Plan, dem nach großem medialen Rummel von der Treuhand-Chefin gekündigt worden war, da er – wie es in den Zeitungen und dann als Zitat auch in unserem Buch hieß – einen DDR-Großbetrieb viel zu billig an sein früheres westdeutsches Unternehmen veräußert hatte. Im Nachhinein konnte er jedoch ein Kündigungsschreiben von Frau Breuel vorweisen, wonach er lediglich wegen „unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten“, nicht aber wegen wirtschaftlicher Unregelmäßigkeiten seine Arbeit verloren hatte. Wir lernten vor Gericht, dass der Betroffene von unserem Autor noch einmal mit den Presseveröffentlichungen hätte persönlich konfrontiert werden müssen, da ein übernommenes Zitat, von dem man sich nicht distanziert, wie eine eigene Behauptung gilt und entsprechend gegenrecherchiert werden muss. Wir schlossen am Ende einen Vergleich und verpflichteten uns, die strittige Behauptung nicht weiter zu verbreiten.3
Um ein Zitat als Tatsachenbeleg ging es auch in einem der fünf Prozesse, die Scientologen gegen das Buch von Liane v. Billerbeck und Frank Nordhausen „Der Sekten-Konzern“ 1993/94 anstrengten, konkret um ein Bildzitat. Die Ehefrau des bekannten Scientologen und Malers Gottfried Helnwein wollte uns die Veröffentlichung eines Fotos von ihrem Mann verbieten lassen, das wir als Beleg für sein Engagement aus einer Scientology-Werbebroschüre übernommen hatten. In diesem Falle konnten wir uns erfolgreich durchsetzen, da das Bild Gegenstand der Erörterung war und als Beleg für die im Text aufgestellte Behauptung diente, was das Zitatrecht unter diesen Bedingungen ausdrücklich erlaubt.
Wir reagierten auf die nacheinander eintreffenden Klagen gegen vorgeblich falsche Tatsachenbehauptungen im Buch, indem wir immer nur kleine Auflagen druckten, um im Falle einer Änderungsverpflichtung oder gar eines Verbotes nur geringe Bestände am Lager zu haben und den Schaden ggf. gering zu halten. Am Ende mussten wir aber nur in einem Fall eine Stelle überarbeiten, und da war gerade eine Auflage ausverkauft, sodass wir problemlos ändern konnten.
Bewusst gemacht haben uns diese frühen Auseinandersetzungen, dass alle tatsächlichen Behauptungen von Autoren während des Lektorats im Verlag nochmals hinterfragt werden müssen und nur dann im Manuskript verbleiben können, wenn sie auch schlüssig belegt sind. Nach deutschem Medienrecht haften bekanntlich Behauptender (Autor) und Verbreitender (Verleger) gleichermaßen. Sie können einzeln oder gemeinsam verklagt werden, doch in der Praxis trifft es zumeist nur den Verlag, denn der soll die Verbreitung stoppen und kann eher für die anfallenden Kosten aufkommen als der einzelne Autor.

Um den zweiten großen Themenkomplex, die Privatheit von Personen, ging es bei uns dann verstärkt ab 1997 im Zusammenhang mit Veröffentlichungen zur Stasi-Geschichte, unter anderem bei Joachim Walthers Dokumentation „Sicherungsbereich Literatur“. Mehrere ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter des MfS wollten verhindern, dass sie mit voller namentlicher Nennung weiter in dem Werk vorkommen und entsprechende Dokumente abgedruckt werden. Doch hier konnten wir die Gerichte davon überzeugen, dass es zum Zwecke der politisch-historischen Aufarbeitung notwendig ist, in diesem kulturpolitisch wichtigen Bereich die Verantwortlichen klar zu benennen, die beispielsweise Günter Grass, Reiner Kunze oder Erich Loest bespitzelt hatten. Das überwiegende öffentliche Informationsinteresse wog hier schwerer als das Interesse der verdeckten Geheimdienstmitarbeiter, weiterhin unerkannt in ihrer Privatheit zu verbleiben.
Bis in die Gegenwart beschäftigen uns – und teilweise auch die Gerichte – derartige Abwägungsfragen. Im Herbst 2019 trafen den Verlag und die Autoren Andrea Röpke und Andreas Speit insgesamt 16 Abmahnungen zum Buch „Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos“. Neurechte Aktivisten versuchen im ländlichen Raum möglichst unauffällig Einfluss zu gewinnen und „national-dominierte“ Zonen zu schaffen. Manche der Zugezogenen waren früher in rechtsradikalen Verbänden und Parteien aktiv, möchten nun aber nicht, dass diese Vergangenheit offenbar wird. Andere wiederum agieren vornehmlich auf großen Privatgrundstücken, wo sie Konzerte und Tanzvergnügen für Gleichgesinnte organisieren. Sie wehren sich gegen eine Behandlung ihres Tuns unter Nennung der Namen, da sie – so ihre Sicht der Dinge – selbst nicht an die Öffentlichkeit gegangen sind und daher in ihrer Anonymität verbleiben wollen. Doch ihr Handeln entfaltet öffentliche Wirkung, weshalb es auch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit gibt, darüber informiert zu werden, was sie tun. So ist auch in einer ersten Verhandlung entschieden worden. Die Entscheidung der zweiten Instanz steht noch aus.
Deutlich wird bei dem massiven Vorgehen, dass spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien, die auch die AfD vertreten, inzwischen mit großer Vehemenz versuchen, kritische Autoren einzuschüchtern und von weiterer Berichterstattung abzuhalten. Eine durch das PEN-Zentrum Deutschland und das Institut für Medienforschung der Universität Rostock 2018 durchgeführte Studie hat ergeben, dass drei Viertel der beteiligten 526 Schriftstellerinnen und Schriftsteller eine Zunahme von Bedrohungen, Einschüchterungsversuchen und hasserfüllten Reaktionen beklagen. Jeder Zweite hat bereits Übergriffe auf seine Person erlebt und hat außerdem Kenntnis von Angriffen auf Kolleginnen und Kollegen. Dies bleibt auch nicht ohne Auswirkung auf das literarische Schaffen: Jeder Vierte, der Angriffe erlebt hat, ist vorsichtiger geworden in der Beurteilung von aktuellen Geschehnissen; jeder Fünfte schreibt weniger über kritische Themen und jeder Achte beschränkt sich in seiner Darstellung.4
Zu diesem Zustand haben auch die Medien beigetragen, die, statt einen fairen Meinungsstreit zu befördern, teilweise inquisitorisch über einzelne Autoren herfallen und eine Art öffentlicher Hinrichtung zelebrieren. Exemplarisch zu erleben war das bei den Auseinandersetzungen um Heinrich Bölls Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ 19745 und im Sommer 2006 beim Erscheinen von Günter Grass‘ autobiografischem Werk „Beim Häuten der Zwiebel“.6

Im dritten Themenfeld, der Abgrenzung von freier Meinungsäußerung und übler Nachrede, haben wir es – bedingt durch die Verrohungen im Internet – mit einer zunehmenden Empfindlichkeit bei den Betroffenen zu tun. Das ist durchaus verständlich, geht aber oft an den rechtlichen Realitäten vorbei. DDR-Schriftstellerpräsident Hermann Kant fühlte sich beispielsweise durch eine Darstellung von Kai Schlüter in der Dokumentation „Günter Grass im Visier – Die Stasi-Akte“ in „ein falsches Licht gerückt“ und forderte eine Änderung des Textes, wofür aber kein Anlass bestand, weshalb der Band unverändert im Angebot ist.
Jüngst wollten rechte Aktivisten das Buch „Völkische Landnahme“ verboten sehen, weil sie darin als völkische Siedler bezeichnet werden. Für diese meinungsrechtlich gedeckte Bewertung gibt es viele Belege, doch die Akteure betrachten dies als „diskreditierende und rufschädigende falsche Darstellung“. Bei Gerichten hatten sie damit allerdings keinen Erfolg.
Der Druck auf Verlage, unliebsame Angaben zu entfernen und den Namen von Personen nicht mehr zu nennen, nimmt permanent zu, da die deutsche Gesetzgebung auf einem anderen Feld dafür fatalerweise den Boden bereitet hat. Um die ohnehin unterbesetzten Gerichte vor weiterer Überlastung zu schützen, hat das Justizministerium 2017 mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz die Verantwortung für die Beseitigung von Hassbotschaften im Netz den großen Plattformbetreibern aus den USA übertragen. Diese löschen seitdem bei vielen Interventionen von Betroffenen kurzerhand den entsprechenden Eintrag, um keine Strafe zahlen zu müssen und sich lange Debatten zu ersparen.
Mit derartigen Erfahrungen im Rücken wird nun auch gegen Verlage vorgegangen, die aber weiterhin auf dem Boden des deutschen Rechts agieren und sich daher berechtigte sachliche Kritik keineswegs als Verleumdung oder Beleidigung verbieten lassen. Inzwischen hat die Politik das Problem erkannt und soll noch 2020 eine Nachbesserung auf den Weg gebracht werden, um u.a. das Beschwerdemanagement zu verändern, damit nicht mehr so viele rechtmäßige Inhalte gelöscht werden.

Die Verlage, und hier speziell die Sachbuchverlage, haben in jüngster Zeit mit deutlich mehr juristischen Auseinandersetzungen zu tun, weshalb die rechtliche Schulung von Lektoren, die Beschäftigung spezialisierter Juristen und ein zusätzlicher Versicherungsschutz immer wichtiger werden. Investigativ recherchierende Journalisten und Buchautoren brauchen inzwischen eine „Vermögensschadenshaftpflichtversicherung“ so dringend wie ein Chirurg.

1 Siehe Christian Schertz: Über Bücher läßt sich streiten – am Ende vor Gericht. Die juristischen Auseinandersetzungen des Ch. Links Verlages, in: Christoph Links, Christian Härtel (Hg.): Über unsere Bücher läßt sich streiten. Zehn Jahre Ch. Links Verlag. Berlin 1999, S. 71–79.
2 Zu den Hintergründen siehe: Christian Schertz, Dominik Höch: Privat war gestern. Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören, Berlin 2001
3 Näheres dazu in: Christoph Links: Lernprozesse vor Gericht. Oder: Warum ein kritischer Sachbuchverlag gute Anwälte braucht, in: Christoph Links: 30 Jahre Ch. Links Verlag. Eine Chronik. Berlin 2019, S. 112–115.
4 PEN-Zentrum Deutschland, Institut für Medienforschung der Universität Rostock: Das freie Wort unter Druck. Studie zur Meinungsfreiheit in Deutschland, Darmstadt 2018, https://www.pen-deutschland.de/de/2018/10/10/uebergriffe-und-selbstzensur-pen-studie-offenbart-alarmierende-ergebnisse-zur-meinungsfreiheit-in-deutschland/
5 Marita Hecker: „Es gehen von Ohr zu Ohr gar fürchterliche Worte“. Rufmord in der Literatur, in: Christian Schertz, Thomas Schuler (Hg.): Rufmord und Medienopfer. Die Verletzung der persönlichen Ehre. Berlin 2008, S. 158–170.
6 Ausführlich nachzulesen bei Martin Kölbel (Hg.): Ein Buch, ein Bekenntnis. Die Debatte um Günter Grass‘. „Beim Häuten der Zwiebel“. Göttingen 2007 und in zusammengefasster Form in seinem Aufsatz: Doppelmoral als Showgeschäft. Der Medienskandal um Günter Grass im August 2006, in: Christian Schertz, Thomas Schuler (Hg.): Rufmord und Medienopfer. Die Verletzung der persönlichen Ehre. Berlin 2008, S. 55–68.