Texte

Ein Verlag mit klarem Profil

Zwanzig Jahre Ch. Links Verlag
(Beitrag für den Band "Mit Links überleben", Berlin 2009)

Am Beginn des zweiten Jahrzehnts stand die Frage, wie es inhaltlich weitergehen soll. Reichte der bisher gesetzte Rahmen von Sachbüchern zur Politik und Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts, um den Verlag langfristig stabil zu halten und möglichst auch wachsen zu lassen, oder wäre es nicht sinnvoller, ein zweites Standbein zu entwickeln, etwa mit Belletristik? Da werden bekanntlich die höheren Auflagen erzielt, dorthin richtet sich vor allem der Blick des Feuilletons. Mit der Reihe Literarische Publizistik wäre sogar eine Brücke in den neuen Bereich vorhanden.
Doch bei näherer Betrachtung schienen die Voraussetzungen dafür wenig geeignet. Der Verlag war im Sachbuchsegment nach zehn Jahren endlich gut aufgestellt, der Aufbau eines glaubwürdigen neuen Programmfeldes würde vermutlich nochmals die gleiche Zeit in Anspruch nehmen. Buchverlage sind keine Zeitschriften, die man eben mal gründet und nach schwachem Start in einem Jahr wieder schließt. Hinzu kam, dass aus unserem Team niemand die notwendigen Erfahrungen mitbrachte, also mindestens ein neuer Kollege eingestellt werden müsste. Und dann waren da die finanziellen Rahmenbedingungen. Hinter uns stand kein Konzern, der teure Vorschüsse vorfinanzierte und sie dann abschrieb, wenn sie sich nicht wieder einspielen ließen. Im Literaturbetrieb hatte sich in Deutschland inzwischen das amerikanische Agentensystem durchgesetzt. Die Autoren traten kaum noch direkt mit den Verlagen in Kontakt, sondern schickten Agenten vor, die neue Texte gleichzeitig mehreren Unternehmen anboten und diese dann möglichst teuer verkauften oder gar versteigerten, denn von jedem ausgehandelten Vorschuss und Honorar erhielten sie 15 Prozent Provision (vom Autor). Im Sachbuchbereich, wo die Margen geringer sind und somit weniger Geld zu verdienen ist, hat sich dieses System noch nicht so stark verbreitet, hier ist auch der individuelle Anpassungsbedarf der Texte an die jeweiligen Macharten der Verlage größer. Nur Standardware lässt sich gleichzeitig bei fünf großen Verlagen unverändert unterbringen. Im historisch-politischen Segment verfügte unser Verlag inzwischen über so viele gute Autorenkontakte, dass Agenturprojekte nur in Ausnahmefällen vorkamen. Sollten wir uns da wirklich in den Konkurrenzkampf um die halbgaren Texte junger Autorinnen begeben oder teure Übersetzungen noch nicht vergebener und somit unbekannter ausländischer Autoren wagen?
Es blieb also beim Sachbuch. In diesem Bereich gab es noch viel Spielraum, hier waren keineswegs schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Neben der historischen Dokumentation, dem politischen Report und der wissenschaftlichen Analyse konnte man sich auch noch andere Präsentationsformen vorstellen, wie auch das Themenspektrum noch keineswegs voll ausgeschritten war. Man musste nur den Mut zum Neuen geschickt mit den Erfahrungen aus früheren Fehlern verbinden. Zwei Mal hatten wir uns schon vertan. Die kulturhistorische Reihe "Berliner Blicke" war gescheitert, da offenbar der touristische Ansatz (kleines Format) mit den langen Texten, dem dicken Umfang und den ausschließlich schwarz-weißen Fotos nicht den Erwartungen der Kunden entsprach. Reiseführer, auch wenn sie vorrangig historisches Hintergrundwissen vermitteln wollen, sahen inzwischen ganz anders aus.
Bei der Reihe Schräge Köpfe, die nach dem vierten Bändchen eingestellt worden war, lag es weniger an gestalterischen als an inhaltlichen Problemen. Die Porträts eigenwilliger süddeutscher Künstler (Konstantin Wecker, Georg Ringsgwandl, Lisa Fitz so- wie Hermes Phettberg aus Österreich) passten einfach nicht zu unserem sonstigen politischen Programm mit seiner besonderen ostdeutschen Komponente.
Aus der Enge der deutsch-deutschen Themen ließ sich aber auch auf andere Weise entkommen. 2001 starteten wir eine Reihe mit Länderporträts, mit denen wir zunächst unsere unmittelbaren Nachbarn vorstellten. "Österreich für Deutsche" von Norbert Mappes-Niediek machte den Anfang, gefolgt von Dik Linthouts "Frau Antje und Herr Mustermann - Niederlande für Deutsche", übersetzt von Gerd Busse. Beide Bücher waren in ihrer sehr menschlichen Art, in der vom scheinbar so ähnlichen und doch ganz verschiedenen Alltag hinter der Grenze berichtet wurde, vom Start an erfolgreich und liegen inzwischen in aktualisierten vierten und fünften Auflagen vor. Durch den Fokus auf die jeweiligen Verbindungen zu Deutschland war auch eine Verbindung zu unserem übrigen Programm hergestellt und der Reportagestil mit den persönlichen Erfahrungen der Autoren knüpfte an die Literarische Publizistik an. Die Buchhändler bescheinigten uns, dass es sich hier um echte Links-Bücher handelte, in ihrer Solidität und gleichzeitigen guten Lesbarkeit zum übrigen Profil passend. Zügig wurde daher die Reihe ausgebaut, nach den übrigen Nachbarn folgten Bände über Schweden, Rumänien, Russland, China, die Türkei und sogar Nordkorea. Bücher zu England und Südafrika folgten im Herbst 2009. Günther Wessel, der die Reihe inzwischen als Außenlektor betreut, hat außerdem Italien und die USA, Mexiko und Kenia auf dem Programm.
Den Schritt in die Welt hinaus haben wir auch im historischen Bereich gewagt. Nach der DDR-Geschichte und den NS-Themen - hier sind die gut eingeführten Bild-Text-Bände nach wie vor hoch erfolgreich - widmet sich seit 2001 eine neue populäre Reihe der deutschen Kolonialgeschichte, also der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg. In einer Phase, da sich Deutschland gerade anschickte, wieder militärisch weltweit aktiv zu werden (Kosovo, Afghanistan, Horn von Afrika), schien es uns sinnvoll, nach den früheren Auslandseinsätzen zu fragen, um historische Erfahrungen nutzbar zu machen.
Ähnlich war es mit den Büchern zur aktuellen Politik. Hier schoben sich die internationalen Ereignisse nahezu von selbst in den Vordergrund. Zum Irakkrieg erschien in Rekordzeit der Band "Soldat im Golfkrieg" von Steven Kuhn und Frank Nordhausen, gefolgt von Rolf Uesselers Report über die dort eingesetzten privaten Militärfirmen "Krieg als Dienstleistung". Julia Gerlach beschrieb die Denkwelt jugendlicher Muslime "Zwischen Pop und Dschihad" und Oliver Schröm zeigte Akteure und Strukturen von "Al Qaida" auf. Jüngst informierte Bernd Wulffen über den begonnenen "Umbruch auf Kuba".
Damit war die deutsch-deutsche Politik keineswegs vergessen, sie bildet nach wie vor eine Konstante im Programm. Neben Sachbüchern zu den "Eliten in Ostdeutschland" und dem Stand der deutschen Einheit ("Am Ziel vorbei") finden sich hier Berichte über "Neonazis in Nadelstreifen", den Sektenkonzern "Scientology", das Vordringen fundamentalistischer Christen ("Mission Gottesreich") oder neue Entwicklungen in den Medien ("Rufmord und Medienopfer"). Ergänzt werden diese aktuellen Reports von zwei wissenschaftlichen Reihen zur DDR-Gesellschaft und speziell zur Militärgeschichte. Hierzu hat sich eine stabile Zusammenarbeit mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam entwickelt, die erfreulich präzise und überraschend konfliktfrei verläuft. Damit unterscheidet sie sich wohltuend von unserer ersten Erfahrung einer institutionellen Kooperation. Von 1995 bis 2000 erschienen in unserem Verlag insgesamt 20 Bände der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Den Vertrag mussten wir dann aber von unserer Seite aus kündigen, da der damalige Mitarbeiter der Behörde Hubertus Knabe einen uns exklusiv zugesagten Band zur Westarbeit des MfS mit gleichem Thema parallel noch an einen anderen Verlag verkaufte und die Behörde nicht in der Lage war, ihre Zusagen uns gegenüber durchzusetzen.
Erfreulich verläuft seit Jahren die Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale und vielen Landeszentralen für politische Bildung, die historische Untersuchungen wie auch Länderporträts und aktuelle Gesellschaftsanalysen in Sonderausgaben in ihre Programme aufnehmen. Die Bundeszentrale ist nun auch bei einem Band der Historischen Reiseführer als Mitherausgeber aktiv: "Bonn - Orte der Demokratie". Es wird der zehnte Band dieser Reihe, die sich bisher als äußerst erfolgreich erwiesen hat. Im zweiten Anlauf haben wir nun offensichtlich alles richtig gemacht, auch dank einer professionellen Herstellung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem uns nicht Nachbestellungen erreichen, kein anderer Programmbereich ist so stabil in der Backlist der lieferbaren Titel.
Blieben zwei Felder zu benennen, die gegenwärtig etwas rand- ständig sind. Bei der Literarischen Publizistik hat sich gezeigt, dass die anfänglichen Sammelbände erfolgreicher Zeitungsreportagen von den Internetangeboten der Redaktionen überholt worden sind. Auch frühere Texte kann man dort inzwischen problemlos nachlesen oder runterladen. Gefragt sind am Buchmarkt daher Bände, die originär einen Gegenstand journalistisch behandeln, egal ob jemand zu Fuß nach Moskau läuft oder sich auf den Jakobsweg begibt. Wir konnten das an den Werken von Frank Westerman erleben, dessen jüngste Pilgerreise eines Ungläubigen auf den "Ararat" die Leser und Rezensenten begeisterte und dessen Werk auch noch bei Piper im Taschenbuch erscheinen wird. Daran knüpfen wir nun mit Carolyn Gossages "Auf Irrfahrt" an.
Im Bereich Lebenswelten / Lebenshilfe (siehe die Beiträge von Bettina von Kleist und Nadja Caspar) gab es in den letzten Jahren mit dem Band über Partner im Ruhestand einen überraschenden Erfolg (Bettina von Kleist: "Wenn der Wecker nicht mehr klingelt"). Fünf Auflagen bei uns folgten eine Ausgabe im Bertelsmann-Buchclub und ein Taschenbuch bei dtv. Wie von ihr liegen auch von Adelheid Müller-Lissner inzwischen drei Bände vor, worunter sich die Orientierungshilfe für Großeltern über "Enkelkinder" besonders gut verkauft hat. Daneben hat es die Reihe aber eher schwer. Obwohl in ihr gesellschaftliche Probleme auf individueller Ebene sachkundig behandelt werden und Betroffene wie Experten mit ihren Erfahrungen sinnvolle Lösungsvorschläge anbieten, bleiben Buchhändler und Käufer eher zurückhaltend. In einer Warengruppe, in der sich sonst Ratgeber für "Reichtum und Glück in sieben Tagen" tummeln, vermutet man womöglich keine Bücher mit einem solchen Tiefgang. Eine Neupositionierung der Reihe bleibt Aufgabe fürs dritte Jahrzehnt.
Insgesamt gibt es im zeitgeschichtlichen Sachbuchbereich genügend Betätigungsfelder, um neue Themengebiete zu erschließen und veränderte Präsentationsformen auszuprobieren. Der verlegerische Alltag mit all den wirtschaftlichen und juristischen Herausforderungen bleibt spannend genug, da brauchen wir (vorerst) keine Krimis und Romane.